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27 – Ruhrpokalypse – Kapitel 6

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Vielleicht habt ihr schon nicht mehr damit gerechnet, aber die Ruhrpokalypse ist noch nicht vorbei! In dieser Folge erfahrt ihr, wie es weiter geht und ob sich die Schüler und der Co-Pilot retten können.

Im Vorgeplänkel erwähne ich den Geburtstagskalender von Viermalbe, den ihr unter dem Namen Nullnummern finden könnt.

Ausserdem wäre es schön, wenn ihr mir sagt, ob ihr die Hausmeisterei in Zukunft getrennt von den Geschichten hören möchtet. Selbst wenn euch das egal ist, wäre es schön, das von euch zu hören, dann weiss ich nämlich, dass meiner Willkürherrschaft keine Grenzen gesetzt sind!

Ruhrpokalypse – Kapitel 6

Was bisher geschah

Fleischfressende Krebse breiten sich über das Ruhrgebiet aus. Sie fressen alles, was ihnen in den Weg kommt. Eine Gruppe Schüler rettet sich auf das Dach ihrer Schule. Ein Teil von ihnen wird mit einem Helikopter abgeholt, der kurze Zeit später abstürzt. Die Überlebenden finden sich in einem Hochhaus wieder, in dem ein Mann namens Hannes das Sagen hat. Die Gruppe beschließt dessen Auto zu stehlen, um ihre Freunde auf dem Dach der Schule zu retten. Als sie dort ankommen, sind die Krebse verschwunden. Sie kehren zum Turm zurück und treffen dort auf zwei Mitglieder einer anderen Gruppe, die den Turm an sich gerissen haben. Bei dem Versuch weitere Freunde zu befreien, sterben mehrere Mitglieder der Gruppe, Hannes und die beiden Eindringlinge. Als sich die Schüler auf den Weg zu ihren Eltern machen, kehren die Krebse zurück.

Die Reifen des Wagens pflügten durch die zentimeterdicke Schicht aus Schalen und Schleim. Wie Schnee spritzten die Tiere zu den Seiten weg. Die Flanken der Limousine waren braun besprenkelt. Die Fragmente der zerbrochenen Panzer klebten wie Eierschalen am silbernen Lack. Die Scheibenwischer liefen auf der höchsten Stufe und wehrten die Quälgeister von der Windschutzscheibe ab. Sie hatten jetzt beinahe die Größe von Untertassen, waren aber nicht mehr ganz so zahlreich. Melanie fuhr immer dem Stern auf der Motorhaube nach. Sie unterdrückte die Tränen, damit sie ihren Blick nicht trübten. „Wohin jetzt?” fragte sie. „Egal.” sagte Denniz. „Scheissegal.” Sein Gesicht und seine Kleidung waren mit Blut beschmiert. Neben ihm lag Nikolai in seiner leuchtend roten Uniform. Er war bewusstlos. Lisa saß auf dem Beifahrersitz. Ihr Blick reichte weit in die Ferne. Ihre Pupillen lagen starr in ihren Höhlen und mussten etwas fixieren, das sich in ihrem Kopf, statt auf der Straße befand. „Ich möchte wissen, ob meine Eltern noch leben.” sagte Martin. „Reicht der Sprit bis nachhause?” „Ja.“ sagte Melanie, bog in den Kreisverkehr und nahm die zweite Ausfahrt.

Als sie auf die Straße einbogen, an der die beiden Einkaufszentren angrenzten, hörten sie ein lautes Brummen. „Was ist das?“ fragte Martin und schob sein Gesicht so dicht wie möglich gegen die Fensterscheibe. „Das kommt von draußen!“ Das Geräusch wurde lauter. „Ist das ein Flugzeug?“ Etwas zog über sie hinweg und zog dabei einen roten Nebel hinter sich her. Jetzt versuchte auch Denniz etwas zu sehen. „Das war ein Hubschrauber!“ Der Nebel senkte sich. Lisa beugte sich über die Konsolen des Autos und schob ihren Kopf unter die Windschutzscheibe. „Seht ihr das?“ Sie drehte sich eilig zu den anderen um „Seht ihr das auch?“ rief sie und kehrte dann wieder zurück unter die Scheibe. „Die Viecher krepieren!“ Euphorie hatte die Trauer aus ihrer Stimme verdrängt. Dort, wo der Nebel vor ihnen auf die Straße traf, wurden die Krebse regungslos. Der Inneraum des Autos füllte sich mit einem beißend sauren Geruch. „Schnell! Mach’ die Lüftung aus!“ rief Denniz. „Verstopf alle Lüftungsschlitze!“ Melanie wandte ihren Blick von der Straße ab. „Was? Wieso?“ „Macht einfach, los!“ Melanie drehte an den Schaltern der Belüftung. Lisa öffnete das Handschuhfach, zog die Straßenkarten und Papiere heraus, die darin lagen und riss sie in Stücke. „Fahr’ ins Parkhaus vom Squaremart, Melanie!“ Martin sah Denniz mit verschränkten Augenbrauen an. „Bist du wahnsinnig?! Da ist vielleicht die Gruppe von diesen Irren!“ „Die Irren sind tot und wenn wir da nicht reinfahren, wir vielleicht auch bald!“ Lisa stopfte das Papier in die Schlitze der Lüftung. Melanie bog auf die Zufahrt des Parkhauses ein. Das Auto war nun von einem dünnen Film aus Flüssigkeit bedeckt. Rötliche Tropfen schoben sich quer über die Seitenscheiben. Martin sah Denniz immer noch verstört an. „Was soll das denn jetzt, Denniz? Bist du bekloppt oder was?“ Lisa kam Denniz zu Hilfe: „Die sprühen Gift, man! Willst du noch ne Nase nehmen?“ Martins Augen weiteten sich. „Oh.“ machte er.

Das Rolltor des Parkhauses war hinuntergelassen worden. Ein großes, ausgefranstes Loch prangte darin. „Da ist schon jemand rein!“ sagte Melanie. „Oder raus.“ widersprach Lisa. Nikolai rutschte auf seinem Platz hin und her wie eine Puppe, als Melanie den Wagen um die enge Biegung am Ende der steilen Auffahrt lenkte. „Fahr da vorne an die Wand. Nah an die Tür.“ Denniz suchte nach Krebsen auf dem Parkdeck, aber die abgestellten Autos boten so viele Verstecke, dass er unmöglich sagen konnte, ob dieser Ort sicher war. Hier und da lagen einige Schalen, wie sie nach dem Verschwinden der Tiere übrig geblieben waren. „Fuck!“ rief Martin vom gegenüberliegenden Fenster. „Fuck! Fuck! Fuck!“ „Kacke! Gib Gas, Melanie!“ Lisa musste gesehen haben, weshalb Martin fluchte und nun bemerkte auch Denniz die Krebse. Gleich zwei Schwärme kamen auf sie zu. Einer rollte wie eine Lawine vom oberen Parkdeck nach unten. Der andere folgte ihnen von der Straße aus nach. „Die Viecher fliehen vor dem Gift!“ Melanie drückte das Pedal durch und zog quer über die freien Parkplätze. Sie streifte einen stehenden Wagen und büßte den Außenspiegel der Beifahrerseite ein. „Da ist jemand!“ rief Lisa. „Am Eingang ist jemand!“ Noch bevor das Auto zum Stehen kam, öffnete Denniz seine Tür und sprang heraus. Er machte zwei Sätze zur Glastür des Einkaufszentrums und versuchte sie zu öffnen. Die beiden Seiten der Schiebetür waren unzertrennlich. Er hämmerte mit der Faust dagegen. „Hallo?! Hey! Wir wissen, dass ihr da seid! Macht auf!“ Melanie und Martin klemmten sich unter Nikolais Arme und zogen ihn zur Tür. Lisa folgte ihnen. „Die Viecher sind hier! Wir brauchen Hilfe! Bitte, macht die Tür auf!“ Ein Gesicht erschien hinter der Scheibe. Eine junge Frau. Ihre Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst. Eine große Tasche hing an ihrer Schulter. Sie hielt eine Axt in Händen. Denniz hörte auf, gegen die Scheibe zu schlagen und trat einen Schritt zurück. „Sie sind gleich hier!“ rief Lisa, die jetzt mit dem Rücken zur Gruppe stand und dabei zusah, wie sich die todbringenden Schwärme vereinten. „Bitte, mach auf!“ rief Denniz. Die Frau stand still. Ihre Augen wanderten ständig zwischen der Gruppe und dem was hinter ihnen aufmarschierte hin und her. „Bitte! Wir sind sonst tot!“ Plötzlich rannte ein kleines Kind auf die Frau zu. Es klammerte sich an ihre Beine und versteckte sich dahinter. Die Frau schien mit dem Kind zu sprechen, aber es war zu leise, als dass es durch die Glasscheibe verstanden werden konnte. „Leute!“ Lisa ging rückwärts. Die Krebse fluteten langsam aber sicher jeden Zentimeter des Parkdecks. Die Frau zeigte nach rechts und das Kind rannte in diese Richtung. Ohne den Blick von der Gruppe im Parkhaus abzuwenden, ließ sie die Tasche zu Boden sinken, zog einen üppigen Schlüsselbund daraus hervor und hockte sich hin. Die Sekundenbruchteile, die sie brauchte, um den Schlüssel im Schloss herumzudrehen, erschienen Martin wie Stunden. Denniz und die Frau schoben je einen Teil der Tür zur Seite. „Schnell!“ rief sie und Melanie zog gemeinsam mit Martin den bewusstlosen Nikolai ins Kaufhaus. Lisa und Denniz folgten ihnen und verschlossen die Tür hinter sich. Als der Schlüssel die Tür endgültig schloss, brandete die erste Welle der Krebse gegen das Glas.

Sie befanden sich in einem Teil des Treppenhauses. Eine Rolltreppe führte auf das oberste Deck des Parkhauses, das nicht mehr überdacht war und eine andere führte nach unten zum Kaufhaus selbst. Das Treppenhaus lag direkt an der Außenfassade des Kaufhauses, die komplett aus Glas bestand. Mit ihren beiden Händen umklammerte die junge Frau den Stiel der Axt. Deren Kopf richtete sie auf die gerade Geretteten und brachte sich zwischen ihnen und der Rolltreppe nach unten in Position. Auf der Treppe stand der kleine Junge. „Ihr könnt hier bleiben, bis die Käfer wieder weg sind!“ sagte sie. „Wenn ihr auch nur einen Schritt nach unten geht, seid ihr tot!“ Die letzten Worte schrie sie über die Rotorengeräusche eines Helikopters hinweg, der über das Kaufhaus fliegen musste. Sie beugte sich vor und legte sich den Riemen der Tasche um die Schulter. „Und wenn sie sich durchfressen?!“ fragte Martin. Die Frau sah ihn an. „Dann schreit wenigstens, damit wir gewarnt sind.“ Mit diesen Worten ging sie langsam rückwärts die Rolltreppe hinunter. Der Junge lief vor ihr her. Am Ende drehte sie sich um und warf einen letzten Blick nach oben. Dann verschwanden die beiden um eine Ecke.

„Was war das denn?“ fragte Denniz. „Bekloppte. Überall Bekloppte!“ sagte Lisa. Melanie und Martin setzten Nikolai mit dem Rücken an die Fensterscheibe. „Ich glaube,“ sagte Melanie. „die gehören zur Gruppe, die hier mit den Leuten vom Wachdienst war.“ Martin sah sie an. „Hannes hat doch gesagt hier war keiner.“ „Vielleicht hat Hannes gelogen.“ sagte Lisa. Melanie schüttelte den Kopf. „Oder die Leute hier haben sich versteckt. Ich habe diese Tasche schonmal gesehen. Davon hingen unten ein paar im Laden. Die haben sie auf jeden Fall von hier.“ Denniz ging in die Hocke und zupfte mit spitzen Fingern an Nikolais blutigem Hosenbein. „Scheiße…“ murmelte er. „Wir brauchen Verbandszeug und irgendwas zum Desinfizieren. Kann jemand von euch nähen?“ Nikolai musste viel Blut verloren haben. „Hilf mir mal, Martin.“ Die beiden drehten Nikolai auf den Bauch und schoben das Hosenbein nach oben. Es gab nur ein Einschussloch. Das Blut lief daraus nur so an seiner Wade hinab. Die Kugel musste immer noch im Bein stecken. Keiner von ihnen wusste, ob es besser wäre sie zu entfernen oder drin zu lassen. Hatte sie vielleicht wichtige Gefäße verletzt? War der Knochen durchschlagen? Solche Dinge hätte ihnen höchstens Nikolai selbst erklären können, aber der war seit der Flucht aus dem Wohnturm nicht mehr bei Bewusstsein gewesen. Denniz zog die Wangen hoch. „Haben wir irgendwas, um ihm zu helfen?“ Melanie schüttelte den Kopf. „Nein, den Verbandskasten aus dem Auto haben wir im Turm gelassen.“ „Wenn er im Auto wäre, hätten wir trotzdem die Arschkarte.“ Lisa zeigte auf die Tür. Kein Zentimeter des schwarzen Asphalts war auf dem Parkdeck mehr sichtbar. Sie kniete sich direkt vor die Tür und beobachtete, die Krebse. Sie wimmelten unaufhörlich herum, rempelten an die Scheibe und den Türrahmen und versuchten mit ihren Beißwerkzeugen eine unebene Stelle im Glas zu erwischen. Sie erzeugten damit ein monotones Rascheln. „Wieso fressen die sich nicht einfach durch den Rahmen?“ sagte Lisa. Denniz stand auf. „Weisst du noch, als wir gedacht haben, sie wären endlich weg? Ich denke, sie haben sich gehäutet. Ihre alten Panzer lagen überall herum.“ „Was hat das damit zu tun?“ wollte Martin wissen. „Naja,“ antwortete Denniz. „Nach einer Häutung sind die Panzer von Krebsen erstmal weicher als vorher. Das ist mir im Wagen schon aufgefallen. Ihre Beißwerkzeuge sind vielleicht auch noch nicht ausgehärtet.“ Lisa stand nun ebenfalls auf. „Du meinst, in ein paar Stunden oder so knabbern die sich hier durch und wir sind tot?“ „Keine Ahnung. Ich weiss doch nicht, wie lange die Viecher für sowas brauchen. Ausserdem hat die Tür auch vorher schon durchgehalten, wie’s aussieht.“ sagte Denniz.

Lisa sah zu Nikolai hinunter. Ihre Nasenlöcher weiteten sich und sie schob ihren Unterkiefer vor. „Ich geh da jetzt runter.“ Melanie stellte sich ihr in den Weg. „Du hast gehört, was die gesagt hat.“ „Mir ist egal, was diese Schlampe gesagt hat!“ schnauzte Lisa. „Hier stirbt keiner mehr!“ Ihr Gesicht lief rot an. Sie zog die Nase hoch. Eine Träne kroch über ihre Wange. Es war nicht einmal eine Stunde her, dass sie Marvins Leiche im Wohnturm zurücklassen musste. Ihr bester Freund war gestorben und die weiße Pest hatte ihr noch keine Gelegenheit zur Trauer gelassen. Denniz ergriff das Wort. „Sie hat recht! Wir brauchen Verbände für Nikolai und wir wissen nicht, wie lange die Tür hält.“ „Lasst uns mit ihr reden. Sie hat uns reingelassen, vielleicht ist sie gar nicht so schlimm.“ sagte Martin. Melanie schüttelte den Kopf. „Ich weiss nicht.“ „Wir können hier nicht darauf warten, dass Nikolai verreckt und die Viecher uns auffressen!“ brüllte Lisa ihre Schwester an. „Ich gehe. Nikolai ist nur wegen mir hier. Er hätte gar nicht im Turm sein sollen!“ sagte Denniz. Lisa stellte sich direkt neben ihn. „Ich komme mit!“ Denniz hob die Hand vor die Brust und wedelte mit seinem Zeigefinger hin und her. „Nein, ich gehe alleine, sonst fühlt sie sich bedroht. Drückt irgendwas auf die Wunde. Ein Stück Stoff oder so.“ Ohne ein weiteres Wort ging er an Melanie und Lisa vorbei und betrat die Rolltreppe. Er versuchte so sanft wie möglich aufzutreten, damit seine Schritte nicht zu laut würden, aber der Aufprall seiner Schuhsohlen auf dem Metall hallte jedes mal durch das leere, weite Treppenhaus. Als Denniz bereits zwei Drittel des Weges zurückgelegt hatte, erschien sie am Ende der Treppe.

- „Ich habe gesagt, ihr sollt da oben bleiben!“
– „Wir haben einen Verletzten!“
– „Und?“
– „Wir brauchen Desinfektionszeug und Verbände, irgendwas.“
– „Das ist nicht mein Problem!“
– „Ach komm schon! Der verblutet uns hier!“
– „Geh wieder nach oben!“
– „Bitte, man! Ein Verband!“
– „Ich sagte, du sollst wieder nach oben gehen!“
– „Sein Name ist Nikolai. Er ist angeschossen worden. Er hat bei der Rettung gearbeitet! Nikolai ist ein netter Kerl!“
– „Wenn du noch ein Wort sagst, komme ich da hoch! Geh!“

Denniz sah die Frau an. Sie hielt die Axt fest in Händen. Er ging langsam rückwärts. Sie würde sicher warten, bis er ganz oben wäre. Könnte er jetzt herunterrennen und ihr die Waffe abnehmen? Der Weg wäre sicher weit genug, sodass sie sich auf den Angriff vorbereiten könnte. Dann bemerkte Denniz den Jungen. Er umklammerte die Wand an der Ecke und schob seinen Kopf gerade so weit über die Kante, dass er sehen konnte. Seine Anwesenheit bedeutete gleichzeitig etwas gutes und etwas schlechtes. Wenn Denniz versuchen sollte sie anzugreifen, könnte er auch den Jungen dabei verletzen. Dass er hier war, bedeutete aber auch, dass sie die einzige Person sein muss, die sich um ihn kümmerte. Vielleicht waren die beiden überhaupt die einzigen anderen Menschen im Squaremart. Denniz drehte sich um und stieg die Treppe wieder hinauf. Sie mussten das weitere Vorgehen gemeinsam verhandeln. Sie zogen Nikolai die schwere, rote Jacke aus und legten ihn auf den Rücken. Seine Atmung war flach. Denniz trennte einen Fetzen aus Nikolais T-Shirt heraus und umwickelte damit dessen Bein. Er schnürte den Knoten so fest er konnte, um den Blutfluss aus der Wunde zu stoppen, aber der provisorische Verband färbte sich schnell rot. Auf Melanies Drängen beschloss die Gruppe, dass es besser sei, zu warten. Sie hatten schon zu viele Freunde verloren, als dass sie es sich erlauben konnten nun auch noch einen durch eine Axt zu verlieren. Melanie fürchtete insgeheim, dass es für Nikolai ohnehin bereits zu spät sei. So saßen die vier Schüler mit dem Rücken an Glasfassade und Wände gelehnt und dachten über das nach, was in den letzten Stunden passiert war. Sie dachten an Jasmin, Marvin, Frau Richter, Hannes und dessen Schwager, an die beiden vom Sicherheitsdienst und diejenigen, die aus dem Turm geflohen waren. Hin und wieder hörten sie einen Helikopter in der Ferne. Sie alle fürchteten, dass der Alptraum nun erst begann, aber niemand sagte das laut. Niemand sagte irgendetwas. Stattdessen warteten sie darauf, dass sich die Dunkelheit der Nacht auf sie legte und kein Sonnenlicht mehr durch die Scheiben schien. Am Himmel erschien nur ein schwacher Mond, dessen Licht es kaum durch die Wolkendecke schaffte. Dann schliefen sie ein.

Ein Schrei weckte Martin. Es war Lisas Stimme. Er sprang auf und versuchte klar zu sehen, doch sein Blick war noch verschwommen vom Schlaf. Er rieb sich den Unterarm durchs Gesicht. Auf dem harten Boden, wo Lisa gelegen hatte, zappelte etwas. Ein Schatten schob sich über sie. Dann konnte Martin endlich besser sehen. „Ist gut, ist gut.“ Melanie war schon bei ihrer Schwester. „Es war nur ein Traum.“ sagte sie und nahm sie in den Arm. Martin beugte sich zu Nikolai hinunter. Er legte sein Ohr über dessen Mund. Als er hörte, dass Nikolai immer noch atmete, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Vor der Tür zum Parkdeck hatten sich die Reihen der Krebse etwas gelichtet. Der Teppich hatte deutliche Löcher bekommen und die Tiere drängten sich nicht mehr so stark, wie noch am Abend zuvor direkt an der Scheibe der Tür. Es waren allerdings immer noch zu viele, um einfach hinauszuspazieren. „Was ist das?“ rief Denniz. Am Ende der Treppe schien etwas zu liegen. Er rannte die stehende Rolltreppe hinab. Als er am Ende angekommen war, sah er sich nach der Frau um, dann beugte er sich hinunter. „Das sind Verbände!“ rief er nach oben. „Verbände und eine Flasche Wodka!“ Denniz machte sofort kehrt. Sie wuschen die Wunde in Nikolais Bein mit dem Alkohol aus und legten eine Kompresse an. Mehr konnten sie für den Co-Piloten nicht tun. Als Denniz erneut die Rolltreppe hinabstieg, um nach etwas zu Essen zu fragen, tauchte die Frau nicht wieder auf. Er rief nach ihr und als sie darauf nicht reagierte, folgte Lisa ihm. Die beiden zogen durch das Kaufhaus und suchten nach der Frau und dem Jungen. Sie waren verschwunden.

 

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